Über Franziskus von Assisi und sein Verhältnis zu den Tieren
„Da merk ich, wie klein ich eigentlich bin“, sagt Manuela erstaunt. Wir waren gerade auf dem Weg zum Gipfel der 3400m hohen Kreuzspitze. Es war bei unserer franziskanischen Jugendbergwoche 2017. Die junge Dame war beeindruckt von den mächtigen Bergen der Ötztaler Alpen. Ein Thema unserer spirituellen Bergwoche war es, die Spuren Gottes in der Bergwelt zu entdecken. Ich denke, Manuela hat die gigantischen Dimensionen der Berge bestimmt auch als Hinweis für die Größe Gottes erahnt. Sie im Anblick der gewaltigen Berge gespürt, wie gigantisch Gott sein muss.
Wenn ich selbst in den Bergen unterwegs bin, gelingt es mir immer wieder, in der Schönheit und Majestät der Bergwelt einen Hinweis auf Gott zu erspüren. Ich bete dann zum Beispiel: „Vater im Himmel, wie weit und mächtig ist dieses Bergpanorama, um wieviel weiter und mächtiger musst du sein“. Dabei staune ich und ahne etwas von den Dimensionen Gottes.
Ich denke da auch an den Heiligen Franziskus von Assisi. Für ihn war die Natur nicht einfach Materie oder irgendwelche lebenden Organismen. Er war nicht bloß ein Naturschwärmer. Es ist offensichtlich, dass seine Liebe zur Natur mit seinem christlichen Glauben zusammen hing. Er hat in den Elementen der Natur, in den Pflanzen und Tieren das Werk des Schöpfers gesehen. Er stellte sich mit ihnen in gewissem Sinn auf eine Ebene. Er sah sich und die Natur als Werk Gottes. In diesem Sinn fühlte er sich mit den Geschöpfen wie in einer Familie verbunden. Wohl deshalb nannte er die Sonne „Bruder“ oder sprach eine Grille als „Schwester“ an.
Ich denke gerade auch deshalb verhielt er sich gegenüber Tieren mit großem Respekt.
Der italienische Heilige war trotzdem kein Vegetarier. Er aß Fleisch. Ich denke, er hat sich da an Jesus orientiert, der auch Fleisch gegessen hat. Wahrscheinlich hat Jesus, so denke ich, auch in den Tieren eine Gabe Gottes für den Menschen gesehen – ein Geschenk von dem sich der Menschen auch in Dankbarkeit ernähren konnte. Doch ganz klar war für ihn, so scheint es mir: Die Tiere sind nicht nur „Nutztiere“, die Rohstoff liefern, die als Nahrungsmittel und Arbeitsmaschinen dienen. Sicher ist, dass er den Tieren sehr liebevoll begegnete, denn sie hatten für ihn als Geschöpfe Gottes eine Würde. Gleichzeitig war für Franziskus gewiss die biblische Botschaft klar, dass der Mensch in gewissem Sinn die Krone der Schöpfung bildete, als Abbild Gottes (Gen 1,27). Gleichzeitig ist klar, dass die Tiere für ihn auch Spuren Gottes waren.
Über die Zuwendung des Franziskus von Assisi zu den Geschöpfen schreibt zum Beispiel der Biograph Celano in seiner zweiten Lebensbeschreibung des Heiligen (Abfassung etwa 1250): „Obwohl er die Welt als den Verbannungsort unserer Pilgerschaft zu verlassen eilte, hatte dieser glückliche Wanderer doch seine Freude an den Dingen, die in der Welt sind, und nicht einmal wenig. Gegen die Fürsten der Finsternis gebrauchte er die Welt als Kampfplatz und Gott gegenüber als klaren Spiegel seiner Güte. In jedem Kunstwerk lobte er den Künstler; was er in der geschaffenen Welt fand, führte er zurück auf den Schöpfer. Er frohlockte in allen Werken der Hände des Herrn, und durch das, was sich seinem Auge an Lieblichem bot, schaute er hindurch auf den Leben spendenden Urgrund der Dinge. Er erkannte im Schönen den Schönsten selbst; alles Gute rief ihm zu: >Der uns erschaffen, ist der Beste!< Auf den Spuren, die den Dingen eingeprägt sind, folgte er überall dem Geliebten nach und machte alles zu einer Leiter, um auf ihr zu seinem Thron zu gelangen. Mit unerhörter Hingebung und Liebe umfasste er alle Dinge, redete zu ihnen vom Herrn und forderte sie auf zu seinem Lobe. … Den Gärtner wies er an, die Raine um den Garten nicht umzugraben, damit zu ihrer Zeit das Grün der Kräuter und die Schönheit der Blumen den herrlichen Vater aller Dinge verkündigten. Im Garten ließ er noch ein Beet mit duftenden und blühenden Kräutern anlegen, damit sie die Beschauer anregten, der ewigen Himmelslust zu gedenken. Vom Wege las er die Würmchen auf, dass sie nicht mit den Füßen zertreten würden. Den Bienen ließ er, damit sie nicht vor Hunger in der Winterkälte umkämen, Honig und besten Wein hinstellen. Mit dem Namen „Bruder“ rief er alle Lebewesen, wenn er auch von allen Tieren die zahmen bevorzugt liebte“. In diesem Text wird meines Erachtens sehr deutlich, wie Franziskus den Tieren zugewandt war gerade, weil sie für ihn von Gott dem Schöpfer stammen und auf ihn hinweisen.
Dabei scheint es mir wichtig zu sein, dass die Liebe des Franziskus zu den Tieren, auch zusammenhängt mit seiner innigen Beziehung, die er zu Gott hatte. So möchte ich es einfach ausdrücken: Weil er Gottes Liebe erlebte und weil er Gott liebte, musste er auch die Geschöpfe Gottes lieben. Das Buch „Spiegel der Vollkommenheit“ (Abfassung Anfang 14. Jh) sammelt Zeugnisse über das Leben des italienischen Heiligen und betont, dass das Fundament seiner Liebe zu den Geschöpfen gerade seine Geborgenheit in der Liebe des Höchsten war: „Ganz hineingenommen in die Liebe Gottes, erkannte der selige Franziskus nicht nur in seiner Seele, … sondern in jeglichem Geschöpf vollkommen die Güte Gottes. Deshalb war er von besonderer und herzlicher Liebe zu den Geschöpfen erfüllt, vor allem zu jenen, in denen sich etwas von Gott oder den Orden Betreffendes darstellte“. (SP 113, Franziskusquellen, Kaevelar). In diesem Zusammenhang kommt meines Erachtens auch die Bedeutung von Jesus Christus ins Spiel. Den Zugang zu Gott erlebte der Heilige von Assisi gerade im christlichen Glauben. Durch seinen Glauben an Jesus, bekam er den Zugang zur Erfahrung Gottes, zum Herzen des Vaters im Himmel und somit auch zur Liebe Gottes.
Deshalb möchte ich von Franziskus lernen, die Basis aller Liebe immer wieder neu zu entdecken. Es ist die Liebe Gottes, der uns zuerst geliebt hat und seinen einzigen Sohn für uns dahingegeben hat, zu unserer Erlösung von den Sünden und Befreiung hinein in die Liebe (1 Joh 4,7-13). Von Franziskus möchte ich lernen, mich von Gott lieben zu lassen und auf diese Liebe zu antworten. Das tue ich auch, wenn ich die Geschöpfe Gottes respektvoll behandle und in ihnen meine Schwestern und Bürder sehen lerne. Vom Heiligen aus Umbrien möchte ich mich anspornen lassen, in den Tieren Spuren Gottes zu erkennen. Zum Beispiel kann ich in einem fliegenden Vogel die Freiheit sehen, die in Gott ist. Ich kann in einem Löwen Spuren der Macht Gottes betrachten. In einem Lamm könnte ich die Sanftheit Gottes erkennen. Bei einer lästigen Fliege, die mir beim Mittagsschläfchen im Gesicht herumtanzt, fällt es mir gewiss schwerer, hier einen Spur Gottes zu entdecken. Vielleicht könnte ich da Gott sehen, als den, der mir sagt, verschlafe dein Leben nicht.
Gleichzeitig möchte ich auch meine Stimme erheben gegen die unwürdige Haltung von Tieren in der Nahrungsmittelindustrie. Für uns Franziskaner in Telfs ist es zum Beispiel klar, dass wir möglichst nur das Fleisch kaufen, von dem wir wissen, dass es von Tieren aus artgerechter Haltung stammt. Mir und uns allen wünsche ich mehr von der Liebe, die den Heiligen Franziskus erfüllt hat, seine Liebe zu Gott und den Geschöpfen. Dann werde es uns leichter fallen, Tiere möglichst würdevoll zu behandeln und etwa zu sagen: „Hallo, Schwester Kuh“, oder „Liebe Bruder Wurm, ich heb dich jetzt vom Weg auf und werfe dich ins Gras, damit dich niemand zertritt“.
[Dieser Artikel wurde verfasst für das „Pauliner-Forum 2017″]
Quellen:
SP: Spiegel der Vollkommenheit (= SP),
2 C: Thomas von Celano, 2. Lebensbeschreibung des Hl. Franziskus (=2 C)
beide in: Dieter Berg, Leonhard Lehmann (Hg.), Franziskus-Quellen, Die Schriften des heiligen Franziskus, Lebensbeschreibungen, Chroniken und Zeugnisse über ihn und seine Orden, Kevelaer 2009